Noch immer sitze ich in meinem Gedankennebel auf meinem Sessel, als ich vor meinem Fenster eine Gestalt wahrnehme, die sich mit geducktem Kopf und hochgezogenen Schultern schnellen Schrittes ihren Weg zu meiner Wohnungstür bahnt. Dankbar für die willkommene Abwechslung stelle ich den mittlerweile kalt gewordenen Kakao auf den Boden und schwinge ich mich aus meinem Sessel. Mit ihrem typisch herzlichen, heute von Regentropfen ummantelten Lächeln, überreicht mir die Postbotin ein kleines Paket und einen Stapel an Post. Die üblichen Verdächtigen einer Selbstständigen: Finanzamt und Rechnungen. Während ich meine Phobie vor dem Finanzamt mittlerweile abgelegt habe – ich durfte in einigen Telefonaten feststellen, dass auch dort nur Menschen ihren Job machen – versetzt mich der Anblick eines Haufens an Rechnungen immer noch in eine leichte Unruhe.
Ich lege die Post beiseite und beäuge das kleine Paket. Die Adresse ist handgeschrieben, doch von der Identität des Absenders fehlt jede Spur. Seitdem ich von Sebastian Fitzek „Das Paket“ gelesen habe, lässt mich absenderlose Post Vorsicht walten. Ist es nicht verrückt, wie leicht wir negative Vorannahmen aus Büchern übernehmen? Schmunzelnd frage ich mich, wie oft wir uns dessen bewusst sind.
Das Paket ist leicht und bleibt auch beim vorsichtigen Schütteln geräuschlos. Also lege ich es behutsam auf die Arbeitsplatte in der Küche und durchtrenne die Linien des Paketklebebands langsam mit einem kleinen Küchenmesser. Mir schaut orangefarbenes Krepppapier entgegen. An einer dünnen, gold-weißen Kordel hängt ein kleiner Zettel:
„Es ist an der Zeit, der Lebendigkeit die Tür zu öffnen! Er wird Dir dabei helfen.“
Aha. Seit wann verschicken Religionsgruppen zur Akquise jetzt Pakete? Denke ich, während ich das Krepppapier auseinanderschiebe. Was ich sehe, erstaunt mich. Mir schaut etwas entgegen, mit dem ich absolut nicht gerechnet habe. Vor mir liegt ein olivgrün-braunes Kuscheltier. Eine Schildkröte mit flauschigem, braunem Panzer, rundem olivgrünen Bauch und vier olivgrünen Beinen. Aus dem olivgrünen Kopf blicken mir zwei schwarze, wache Äuglein entgegen. “Bruno” schießt es mir durch den Kopf. Fast so, als ob die kleine Schildkröte gerade ihren Namen gerufen hätte. Ich bin kurz irritiert und ziemlich sicher, dass dieses Geschenk definitiv nicht von einer Religionsgruppe stammt. Gerade als ich Bruno auf die Herdplatte legen möchte, um das Krepppapier zu entsorgen, höre ich eine leise Stimme:
„Was grübelst Du?“
Ich schaue mich erstaunt um. Ist da noch jemand mit mir im Raum? Dass meine Gedanken mit mir sprechen, ist nichts Neues für mich. Schon lange versuchen sie mich immer wieder davon zu überzeugen, dass die einfallsreichen Geschichten und Bilder in meinem Kopf wirklicher sind als die greifbare Realität vor meinen Augen. Doch die Stimme hört sich diesmal völlig anders an. Sie klingt leicht nasal und viel heller. Bin ich jetzt verrückt geworden? Wahrscheinlich war es nur wieder eine meiner Tagträumereien.
„Träumst Du oft am helllichten Tag?“ höre ich die gleiche Stimme wieder fragen.
„Wer bist Du und was hast Du in meinem Kopf zu suchen?“ frage ich. Verwirrt und amüsiert zugleich. „Träumst Du oft, habe ich Dich gefragt!“ entgegnet die neue, unbekannte Stimme wieder. Mein Blick wandert zu Bruno, den ich noch immer in meiner Hand halte und so langsam beschleicht mich das Gefühl, dass die Stimme zu den zwei schwarzen, wachen Äuglein gehört.
Oha, jetzt habe ich nicht nur Stimmen in meinem Kopf, sondern spreche auch noch mit Plüschtieren. Na gut, denke ich mir, was soll schon groß passieren?
Neugierig lasse ich mich auf das Spiel ein.
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